[MetalInside] Interview Mit Alex Henry Foster

As published in MetalInside (Only in German)

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EINE MISCHUNG AUS INSTINKT, IMPROVISATION UND HINGABE

Mit Alex Henry Foster and The Long Shadows im Vorprogramm, sollte man als Main Act eine gesunde Portion Selbstbewusstsein mitbringen. The Pineapple Thief sind zwar bekannt dafür, dass sie immer wieder aufstrebende und höchst interessante Kollegen mit an Board nehmen, doch auf der letzten Tour war alles etwas anders.

«Höchst interessant» beschreibt nämlich nicht ansatzweise, was Alex Henry Foster mit seiner Band letztes Jahr im Z7 abgeliefert hatte. Ich kann ohne Zweifel sagen, dass das die beeindruckendste Performance einer Support Band gewesen ist, die ich bis anhin erleben durfte: «A bloody experimental mindfuck»! beschreibst es wohl am besten. Mehr über den faszinierenden Kanadier und seine aussergewöhnliche Musik und Vision erfahrt ihr hier im Interview.

Metalinside (Liane): Du kennst bestimmt das Zitat: „Ich kam, ich sah und ich siegte“ – „Veni, vidi, vici“ von Julius Cäsar. Dieses kam mir in den Sinn, als ich Alex Henry Foster and The Long Shadows letztes Jahr im Z7 in der Schweiz spielen sah. Es hat mich absolut umgehauen! Wie um alles in der Welt konnte The Pineapple Thief nach diesem unglaublichen starken Auftritt überleben?

Alex Henry Foster: Ja, ich kenne das Zitat sehr gut. Es gab eine Zeit, in der sich mein verstorbener Vater für Latein und Griechisch interessierte. In unserer kleinen Wohnung damals waren überall eine Menge Geschichtsbücher verstreut. Dieses Zitat von Julius Cäsar war allgegenwärtig, wenn mein Vater mit etwas Recht hatte. Ich brauche wohl nicht zu sagen, dass ich es als Teenager ziemlich oft gehört habe…! Das weckt alle möglichen Erinnerungen in mir.

Es ist immer eine Herausforderung für jede Band mit Leuten auf Tour zu gehen, über die man eigentlich nicht viel weiss. Diese Herausforderung war während unserer Tour mit The Pineapple Thief aufgrund der Pandemie und der Realität, mit der wir uns alle auseinandersetzen mussten, noch komplizierter. Für mich war es wichtig, nicht nur etwas zu den hohen Standards der Konzerte beizutragen, die sie ihren Fans bieten. Es war mir wichtig, vor allem ihre Einladung, mit ihnen auf Tour zu gehen, zu honorieren. Ich versuchte, Abend für Abend die beste Version meiner selbst zu sein. The Pineapple Thief agieren in ihrer eigenen Welt. Sie sind eine solide Einheit, daher glaube ich nicht, dass sie sich zu irgendeinem Zeitpunkt während der Tournee allzu grosse Sorgen darüber gemacht haben, was – oder wer – um sie herumschwirrte. Sie sind nette und diskrete Typen. Man kann eine Menge über den Charakter einer Band von ihren Fans lernen. Die Art, wie sie mich Abend für Abend willkommen hiessen, war absolut fantastisch. Das Z7 fühlte sich für mich wie ein Zuhause an.

MI: Das Z7 ist weltweit bekannt und bei vielen Musikern sehr geschätzt. Viele Künstler sind davon beeindruckt. Dir ging es in dem Fall genauso?

AHF: Was das Z7-Konzert betrifft, so erinnere ich mich lebhaft daran wie elektrisierend der Auftritt und der Veranstaltungsort gewesen ist. Das Team vor Ort empfing uns wie eine Familie und jeder war unglaublich freundlich zu uns. Angefangen bei dem ausgezeichneten hausgemachten Essen bis hin zu der grosszügigen Hilfe, die uns die Crew beim Soundcheck anbot. Diese Hingabe hat mich sehr inspiriert und war den ganzen Tag über spürbar. Das besondere Team vom Z7 war so aufrichtig leidenschaftlich gegenüber der Musik, der lokalen Szene und den Gästen, dass dies einen tiefgreifenden Einfluss auf meine Vorbereitung hatte und den Weg für das ebnete, was wir an diesem Abend erlebt haben.

Deshalb geht es bei der Musik für mich um Gemeinschaft und hat absolut nichts mit Unterhaltung zu tun. Es geht immer darum, wie sehr ich bereit bin alles loszulassen, was einer Verbindung mit dem Publikum im Wege stehen könnte. Sei es als Einzelperson oder auch als Gruppe. Nur so können wir durch die Musik, durch Gefühle und Empfindungen für einen Augenblick eins werden. Andernfalls wäre es so, als wäre man eine Coverband, die ihre eigene Musik ohne persönliche oder kollektive Beteiligung nachspielt, was eine katastrophale Zurschaustellung von verkümmertem Ego, sterilen Ambitionen und leerer Selbsterkenntnis wäre. Ich möchte keine Computersequenzen starten und so zu tun, als wäre es etwas Besonderes. Kunst ist ehrlich, deshalb hat sie die Fähigkeit, Menschen radikal zu verändern. Dabei ist es egal wer wir sind und welche Art von Kunst wir mögen. Authentizität kann man nicht vortäuschen. Manche mögen sie, manche nicht. Aber am Ende des Tages weiss jeder, was ehrlich ist und was nicht. Ich versuche immer so transparent wie möglich zu sein, auch wenn es sich manchmal sicherer anfühlt, ein emotionales Kostüm zu tragen.

MI: Ich habe diese unglaubliche Leidenschaft und Energie während des Auftritts absolut gespürt. Das war sehr erfrischend. Das hatte sicher auch etwas damit zu tun, dass man lange Zeit keine Live-Konzerte besuchen konnte. Es hat mir gezeigt, was Live-Konzerte bewirken können und wie wichtig sie sind. Für das Publikum und für den Künstler selbst. Wie erlebst Du diese, für uns alle, ganz neue Situation?

AHF: Es war in der schlimmen Zeit der Pandemie schwer erträglich, dass sich Freunde, Fans und Familienmitglieder völlig hoffnungslos fühlten. Einige von ihnen waren nicht in der Lage, sich aus ihrem wachsenden Mass an Dunkelheit heraus zu manövrieren und trafen extreme Entscheidungen, um den Schmerz zu beenden. Das war für mich das schrecklichste Element einer Realität. Diese fühlte sich mehr wie ein Albtraum an, als alles andere. Ich verbrachte viel Zeit damit, den Menschen zu schreiben. Sei es über Social Media oder indem ich handgeschriebene Briefe und Postkarten in die ganze Welt schickte. Das half mir, mit positiven Empfindungen verbunden zu bleiben. Es half mir auch das Gefühl dafür zu bewahren, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Es ist wichtig, Mitgefühl und Empathie zu kultivieren und gleichzeitig meinen eigenen Grad an Verzweiflung zu akzeptieren. Ich habe gelernt zuzuhören und die Chance zu ergreifen, so gesehen zu werden, wie ich wirklich bin.

Obwohl ich ständig Angst hatte, von anderen enttäuscht zu werden, oder aufgrund meiner Offenheit abgelehnt zu werden. Darum ging es mir mehr, als um alles andere. Das ist es, was ich auch mit auf die Bühne bringe: Erfahrungen aus meiner Vergangenheit, zum Beispiel Erinnerungen an Menschen, die ich verloren habe und niemals betrauern konnte. Aber da ist auch Dankbarkeit dafür, am Leben zu sein, zu kommunizieren, willkommen zu sein und andere willkommen zu heissen. Deshalb ist meine Kunst auch so leidenschaftlich und instinktiv, denke ich. Freiheit kann man nicht vortäuschen, genauso wie man die Stigmata der Verluste nicht leugnen kann.

MI: Das macht deine Musik so besonders. Du sprengst Grenzen zu verschiedenen Musikgenres und es ist schwer, den Sound zu kategorisieren. Das ist gut so. Ich bevorzuge Musik, die sich nur schwer in Worte fassen lässt. Möchtest du uns trotzdem kurz sagen, wie du unseren Lesern deinen Stil beschreiben würdest?

AHF: Ich würde sagen, es ist eine Mischung aus Instinkt, Improvisation, Hingabe und den Dingen einfach freien Lauf lassen. Das erklärt auch, warum jeder einzelne Auftritt als individuell und als kreativer Mix an unterschiedlichen Genre definiert werden kann. Aber ich denke die unglaublichste Art und Weise, wie ich beschrieben wurde, war „…ein kathartisches Orchester aus Gospel-Geräuschen, das sich emotional in biblischen Proportionen entfaltet.“ Ist das nicht erstaunlich?! Nick Cave und Swans wären stolz auf mich! Aber du kannst mich immer noch mit Alex ansprechen… das hält mein Ego im Zaum!

MI: Wie entstehen die Songs? Wie beziehst Du die Band mit ein?

AHF: Die Worte stehen im Mittelpunkt des Entstehungsprozesses. Manchmal ist es der Klang eines bestimmten Wortes bzw. der Kontext in dem es mir in den Sinn gekommen ist. Es geht um die Empfindungen, die es in mir auslöst. Ich kann wochen- oder sogar monatelang von einem bestimmten Wort oder einem Ensemble von Wörtern besessen sein. Deshalb stehen die Projekttitel immer an erster Stelle, dann entstehen die finalen Titel und die Texte der Lieder. Danach entwickelt sich die Musik durch das, was diese Worte hervorrufen, indem sie Klangfragmente zum Leben erwecken. So läuft das normalerweise ab. Nach diesem ganzen Prozess kommt die Zusammenarbeit mit dem Rest der Band und derselbe Prozess beginnt wieder und wieder, bis die Songs eine eigene Identität haben. Sie entwickeln sich von einer Probe zur nächsten, von einem Konzert zum nächsten. Die Idee oder die Vision für jeden einzelnen Song entwickelt und verändert sich immer wieder neu. Ich vertraue nie auf Formeln und so kann es für die anderen Musiker ziemlich beunruhigend sein, nach dem Instinkt zu arbeiten. So wie es sicherlich auch ziemlich verwirrend sein kann, wenn man dazu angehalten wird, das Unsichtbare einzufangen. Jedes Projekt hat seine eigene Sprache, so dass die Bandmitglieder nach und nach lernen und verlernen müssen. Deshalb gibt es auch einen ständigen Wechsel der Instrumente. Es gibt keine Bequemlichkeit in diesem speziellen Prozess. Ich bewundere sie sehr dafür, dass sie sich auf diesen Wahnsinn eingelassen haben.

MI: Deine Kreativität und Innovation spiegeln sich auch in deinem Merchandising und in der Art und Weise, wie du mit deinen Fans kommuniziert, wieder. Du bietest sehr spezielle und ausgewählte Artikel in deinem Shop an. Vor allem profitieren die Mitglieder des „Secret Family Cult Club“. Kannst du uns ein wenig darüber erzählen?

Alex Henry Foster: Der «Secret Family Cult Club» ist ein kollektiver geschützter Raum, den ich vor etwa 10 Jahren gegründet habe. Damals handelte es sich hauptsächlich um einen Blog über soziale Themen und Kunst. Dann entwickelte er sich zu einer Gemeinschaft wie Facebook, in der die Mitglieder Profile hatten. Jetzt ist es eher ein offener Dialog, in dem ich tiefer auf meine verschiedenen Projekte eingehe. Sei es in Bezug auf Texte, Klänge oder ihre Formen und Ausprägungen. Ich habe auch verschiedene musikalische Momente geteilt, die zu «direct-to-vinyl-limited-edition» LPs geworden sind. Da alles selbst entworfen und hergestellt wird, ist alles noch persönlicher und intimer. Merch, Sammler-LPs, Siebdruck-Poster, eigene Blogs, Videos und der Austausch von Nachrichten: Für mich dreht sich alles um die menschliche Verbindung und die einzigartige Essenz des Clubs verkörpert diese gemeinschaftlichen Werte perfekt.

MI: Du hattest eine schwierige Vergangenheit, glaubt man Berichten im Internet. Inwieweit hilft Dir die Musik für deine persönliche Entwicklung?

AHF: Die Kunst ist die Erweiterung dieser ständigen persönlichen Veränderung, der ich mich verpflichtet fühle. Vielleicht liegt es daran, dass ich mich tief in meinem Inneren die meiste Zeit meines Lebens wie gelähmt gefühlt habe und dadurch diese Sichtweise auf die Kunst entwickeln konnte. Sie hat sich entwickelt, aber ich fühlte mich irgendwie festgefahren. Je mehr ich diese Vergangenheit loslasse, ohne sie zu verleugnen oder ihre Geschichte umschreiben zu müssen, desto mehr kann ich akzeptieren, wer ich bin. Manche Tage sind besser als andere, aber so sehe ich die persönliche Emanzipation. Wenn es ein Prozess ist, dann ist die Anerkennung der Kern. Die Tatsache, dass ich ziemlich transparent bin, befreit mich von der Scham unsicher und ängstlich zu sein. Meine Bereitschaft anzunehmen, dass ich auch zerbrechlich und angeschlagen sein kann, bietet denjenigen, denen ich wichtig bin, die Möglichkeit mich so anzunehmen, wie ich bin.

MI: Du hast in einer kanadischen Zeitschrift darüber gesprochen, dass Dein Vater Alkoholiker gewesen ist. Ich habe ähnliche Erfahrungen gemacht wie Du. Glaubst Du auch, dass all das, was dir widerfahren ist, der Schlüssel zu einem neuen, erfüllten Leben war?

AHF: Auf jeden Fall. Die Tatsache, dass mein Vater sein Leben umgekrempelt hat, war ebenfalls sehr hilfreich. Auch wenn ich einige Zeit gebraucht habe, um ihm wirklich zu verzeihen. Ich war ein selbstzerstörerischer Mensch – ich war schon immer zu intensiv für mein eigenes Wohl! Aber ich glaube, das letzte Gespräch, das ich mit meinem Vater an seinem Sterbebett hatte, hat mich unvorbereitet getroffen und mein Leben grundlegend verändert. Er sagte mir etwas sehr Einfaches: „Du hattest nie Angst vor dem Tod, Alex, aber was mich immer traurig gemacht hat, war die Tatsache, dass du immer zu ängstlich warst, um wirklich zu leben. Das ist mein Gebet für dich: Lebe und sei frei von allem, was dich in deiner eigenen Dunkelheit gefangen hält. Gib dich nicht mit etwas anderem als der Freiheit zufrieden, mein Sohn.“ Das waren im Grunde seine letzten Worte. Er fiel in dieser Nacht aus dem Bett, konnte nicht mehr sprechen und starb in der folgenden Nacht. Diese Worte verfolgten mich, bis ich mir eingestand, dass er recht hatte. Es wurde ein langer Weg zurück ins Licht. Und wenn ich auch immer noch nicht weiss, was es wirklich bedeutet, in vollen Zügen zu leben oder frei zu sein, so bin ich doch entschlossen weiterhin meinem Instinkt zu folgen, anstatt nach etwas zu suchen, das mein selbst auferlegtes Elend rechtfertigen könnte.

MI: Du hattest im Mai 2022 eine neue Single veröffentlicht – eine Version von Lou Reed`s Song „The Power Of The Heart“. Sehr emotionales Stück. Warum hast Du diesen Song gewählt?

Alex Henry Foster: Es gibt viele Elemente in Lou Reeds Leben und seinem kreativen Universum mit denen ich mich identifizieren kann. Irgendwie geht insbesondere dieser Song, der ziemlich obskur ist und nie offiziell veröffentlicht wurde, für mich über seinen künstlerischen Horizont hinaus. Ich hatte immer das Gefühl, dass dieser Song zeigt, wer Lou Reed im Innersten wirklich war. «The Power Of The Heart» hat eine reine Ausdrucksform und ist eine Liebeserklärung an Laurie Anderson, die damals seine zukünftige Frau wurde. Auch wenn es dem Rest meiner Band zunächst nicht gefiel, war ich besessen von dem Song, seinem Kontext, seiner Reinheit, seiner tiefen Bedeutung und von der Einfachheit der Worte. Ich konnte ein ganzes Spektrum an emotionalen Farben in dem Lied wahrnehmen. Es dauerte jedoch eine Weile bis ich herausfand, was er für mich bedeutete. Doch dann fühlte ich mich gezwungen meine Empfindungen auszudrücken, indem ich den Song zu meinem machte. Ich wollte nie versuchen, Lou`s ursprünglichen Entwurf nachzuahmen oder zu emulieren. Es war mir wichtig, dem Song eine eigene Identität zu geben.

Video Alex Henry Foster & The Long Shadows – Winter Is Coming

LIANE PAASILA
August 12, 2022
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