Edition #6
Sich wie eine Schneeflocke im juli fühlen

Woher kommt das Bild von „Snowflakes in July“? – Yumi Ohara, Tokio

Der Schreibprozess von “Snowflakes in July“ ist durch ein paar charakteristische Ereignissen in mir herangewachsen. 

Als erstes, als ich den Tod meines Vaters irgendwann in der Nacht vom 7. zum 8. Juli bezeugt habe. Ich kann die lebendigen Bilder meiner weinenden Mutter, die Zerstörung der besten Freunde meines Vaters, das Personal des Krankenhauses, welches herumrannte und meine Freunde, die mich ansahen, sehen… Die Zeit wurde gestoppt und blieb wahrscheinlich für einige weitere Jahre gestoppt.
 
Die Bilder sind wahrscheinlich klarer als die Szene selbst… Wie auch immer, ich kann mich nicht daran erinnern irgendein Geräusch gehört zu haben… Nichts, nur eine vollständige Abwesenheit von Geräuschen, was diese tragische Realität in ein traum-ähnliches Band verwandelt hat, welches die Reaktion der anderen vor meinen Augen entfaltet… die Reaktionen aller, außer meiner eigenen. Ich habe jegliche Emotion abgelegt. Ich habe meine Mutter für einen Moment in den Arm genommen und dann gefragt, ob ich mit meinem Vater allein sein könnte. Ich habe an seiner Seite gelegen, mir seinen weißen Raum angeschaut, ein Ort den plötzlich jede Hoffnung auf Heilung verlassen hat, ohne ein Versprechen, an das man sich halten kann. Er war nur ein großer Mann, der sonst voller Energie war, jetzt ein Mann der nicht mehr war. Der Raum war kalt, leer und traurig, bis auf den wunderschönen Ausdruck des Friedens auf dem Gesicht meines Vaters… ich hoffe, dass ich diesen friedlichen Ausdruck nie vergessen werde.
 
Ich habe ein paar Worte in seine Ohren geflüstert, ihn ein letztes Mal geküsst und den Raum verlassen, damit andere diese ergreifende Natur des Momentes erleben konnten. Ich habe das Krankenhaus etwas später verlassen. Auch wenn das Krankenhauspersonal versucht hat Mitgefühl zu zeigen, ist alles am Tod schrecklich und in diesen Institutionen völlig entmenschlicht. Niemand möchte loslassen und niemand kann bereit dazu sein oder es wollen… Es war das „Leben“ auf seine einfachste Weise.

Das war eine passende Szene; als wenn es durch den Tod meines Vaters Zeit war, dass ich irgendwie erblühe…

Es war windig und für den Juli etwas kalt, zumindest soweit ich mich erinnere. Als ich nach draußen ging habe ich Löwenzahn-Flugschirme gesehen und über Erinnerungen nachgedacht… Lassen wir wirklich etwas zurück? Und falls dem so ist, wie kann das im Kreislauf unserer Existenz einen Sinn ergeben? Sind wir das zerstörte Erbe derjenigen, die wir Überlebende nennen? Was gibt es zu verstehen? Der Wind hat weiterhin diese Stücke des Lebens, die irgendwo anders zu gegebener Zeit erblühen sollten, fortgetragen… Das war eine passende Szene; als wenn es durch den Tod meines Vaters Zeit war, dass ich irgendwie erblühe…

Ich hatte den gleichen Eindruck, als ich mich 4 Tage später auf einer Bühne in Taiwan befand und vor einem Ozean von Leuten mit meiner vorherigen Band Your Favorite Enemies sang. Meine Mutter wollte von mir, dass ich dieses Konzert gebe, aber ich hätte es nicht tun sollen… Ich habe mich innerlich völlig leer gefühlt, gefühlslos. Ich erinnere mich nicht an viel von diesem Moment, auch wenn 90.000 Menschen enthusiastisch vor mir gesprungen sind und geschrien haben. Mit den Scheinwerfern auf ihren Gesichtern sahen all diese Gesichter wie Schneeflocken für mich aus, hell erscheinend in einer Reihe von Blitzen bevor sie fast sofort wieder verschwanden. Es war ein wirklich seltsames Gefühl… Auch wenn sie aus voller Kraft schrien, kann ich mich auch nicht daran erinnern die Menge gehört zu haben… es war eine völlige Leere.

Ein weiteres Ereignis folgte 2 Wochen später, als ich das gleiche Phänomen bei der Beerdigung meines Vaters erfahren habe. Lebendige Bilder von weinenden Menschen, die einer nach dem anderen zu einem Bild gingen, während andere sich in der Entfernung unterhalten haben, alte Bekannte und nahe Familie, die vor mir anhielten, um mir ihr Beileid zu wünschen, um mir Geschichten zu erzählen, die ich vorher noch nie gehört habe, um ergreifende Momente zu teilen, die sie mit ihm hatten, die mir völlig neu waren… Kindheitserinnerungen, Menschen denen er geholfen hat, wie er sein Leben verwandelt hat, nachdem er mit dem Alkohol zu kämpfen hatte, Christen mit denen er in die Kirche gegangen ist, Biker, die er bei Abhängigkeiten unterstützte, und so weiter und so weiter und so weiter…. Stunden von lebendigen Bildern zusammengesteckt in einer ungleichen Bearbeitung von Szenen, die in Zeitlupe aufleuchten, alle ohne jedes Geräusch. Es war eine ziemlich lebhafte Hommage an einen Mann, den ich anscheinend nie wirklich gekannt habe.

Unter anderem habe ich geschrieben "Und ich stehe hier, irgendwo im Himmel, denke über das Universum nach, welches im hellen Licht erstrahlt, fühle mich nicht existent, wie eine Schneeflocke im Juli..."

Das letzte Ereignis geschah etwas später, während ich in einem Flugzeug saß, welches mich, wie ich glaubte, für ein paar Wochen nach Tanger flog, um Your Favorite Enemies nächstes Album zu schreiben, was letztendlich 2 Jahre einer notwendigen, traurigen Reise wurden, um das Leben wieder zu akzeptieren. Ich habe gesessen, Leute gingen vorbei, Kinder schrien, Stewardessen gaben Anweisungen, die TV-Bildschirme zeigten die Sicherheitsmaßnahmen, Agenten stellten Fragen… Hundert verschiedene Leben verknüpft für ca. 8 Stunden in eine zu kleine Umgebung, um die Geschichte eines jeden einzelnen zu beinhalten. Aber trotzdem, trotz des organisierten Chaos, welches die Einstiegszeit in ein Flugzeug ist, habe ich nichts gehört… kein Geräusch. Ich habe wirklich nichts gefühlt, nur die Leere in mir. 

Und als ich in diesem Flugzeug saß, habe ich angefangen Worte in ein Tagebuch zu schreiben, welches ich mit auf die Reise genommen habe. Unter anderem habe ich geschrieben „Und ich stehe hier, irgendwo im Himmel, denke über das Universum nach, welches im hellen Licht erstrahlt, fühle mich nicht existent, wie eine Schneeflocke im Juli…“

Wie der Großteil des Albums, hat „Snowflakes in July“ sich selbst in Blitzen, Einblicken und Leuchten von Licht geschrieben, welche mich stets davon abhielten mich selbst zu dieser Zeit in einer trostlosen Kälte zu verlieren…

Immer alles Liebe,

AHF

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