Edition #10
Von einer verheerenden Tragödie zu einem erhebenden menschlichen Auftrieb

Es gibt Momente im Leben, die für immer in unserem Herzen und unserem Geist sind, egal ob sie schrecklich oder großartig sind. Aber selten kann etwas gleichzeitig eine tiefe verwandelnde und ermächtigende Dimension übermitteln, wie es die zerstörerische Tragödie für mich tat, die am 11. März 2011 an der Nordostküste von Japan stattfand.

Ich kann mich noch immer lebendig an die schrecklichen Szenen erinnern, fast wie bei einer Bild-für-Bild Stummfilmrolle, eine alptraumhafte Erinnerung, von der ich weiß, dass sie für den Rest meines Lebens immer wieder und wieder in meiner Seele abgespielt wird. Eine Katastrophe, die letztendlich ein ausschlaggebender Punkt in der Art und Weise sein würde, wie ich Hoffnung und den Glauben inmitten des unerträglich klagenden Schmerzes sehen würde.

Toronto, 11. März, 1 Uhr

Wir sind gerade nach dem ersten von 3 Konzerten, die wir über das Wochenende bei der Canadian Music Week spielen würden, in unserem Hotel in Toronto angekommen. Die Stimmung war gut und alle waren ziemlich optimistisch. Die Canadian Music Week hatte meine Band, Your Favorite Enemies als besonderen Künstler eingeladen und aus diesem Grund hatten wir ein zusammenführendes Wochenende organisiert. Menschen von der ganzen Welt waren dabei, die Deluxe-Edition unseres Albums „Love Is a Promise Whispering Goodbye“ sollte bald international veröffentlicht werden, es fand bald eine Tour in Asien statt und es gab viele weitere tolle Nachrichten zu teilen. Nach all den Jahren der inneren Kämpfe hat es sich endlich so angefühlt, als wenn wir unsere Probleme geklärt hätten und in der Lage waren uns zum ersten Mal seit langer Zeit auf die steigende Flugbahn der Band zu konzentrieren. Und es hat sich gelohnt! Wir hatten den notwendigen Schwung, um zu starten und dieses Wochenende war der Anfang dieser wirklich positiven Bewegung! Es war vollkommen unerlässlich, dass wir diesen glücklichen neuen Abschnitt mit unseren Geliebten erlebten.

Wir waren wahrscheinlich 15 Personen in einer 3-Raum Hotelsuite. Wir waren wahrscheinlich völlig pleite, aber wir hatten es geschafft für den Hotelaufenthalt Punkte zu sammeln – gerade genug, um das, was wir brauchten zu mieten. Da es ein großes Hotel war, haben wir uns gedacht, dass alle 15 von uns (viel zu viele) kein Problem dabei hätten ein- und auszugehen, ohne von den Mitarbeitern am Empfang bemerkt zu werden. Alle haben es geschafft sich hineinzuschleichen. Es hat ewig gedauert alles zu organisieren, aber wir hatten für die paar Tage, die wir in Toronto waren, eine Unterkunft. Der ursprüngliche Plan war, dass 2 von uns am Morgen in den Saal gehen, frühstücken und alles was da war benutzen, um Sandwiches für die anderen zu machen. Die Alternative? Es musste einfach funktionieren. Wir hatten keine. Wir waren es gewohnt und wir haben darüber gelacht, während wir alle Arten von Tour-Geschichten erzählten und die Details für das Wochenende in Toronto planten. Wir hatten viel Spaß, bis wir den Fernseher angeschaltet haben. Dann war der Spaß vorbei. Sofort.

Ich erinnere mich daran, dass Jeff in meinen Raum kam, nur um mich dort wütend und weinend vor den Bildern vorzufinden, die ohne Ende abgespielt wurden und diese Katastrophe in einer endlosen Schleife wiederholten. Jeff saß neben mir, still. Wir waren fassungslos. Wir konnten es nicht glauben. Wir waren beide betäubt. Bis wir hörten wie Momoka und Kosho, 2 unserer japanischen Freunde, in unseren Raum kamen. Ich stand auf, habe meine Tränen weggewischt und ging auf die beiden zu. Ich muss nicht sagen, dass die beiden durch die Veränderung meiner Haltung verwirrt waren. Ich habe sie beide in den anderen Bereich der Suite geführt und versuchte ihnen ruhig zu erklären was geschah, ohne selbst durchzudrehen. Wenn ich darüber nachdenke, glaube ich nicht, dass sie verstanden, worüber ich sprach… Ich bat sie mir zu folgen und wir gingen zurück in den Raum, in dem der Fernseher stand.

Kosho sank auf seine Knie, während ich Momoka in meinen Armen hielt. Zu diesem Zeitpunkt waren alle 15 von uns in dem Raum und wir alle waren geschockt, weinten und waren entsetzt von jedem neuen Video und Zeugnis, welches ausgestrahlt wurde. Wir machten uns vor allem Sorgen um viele Freunde aus Japan, die in ein paar Stunden bei uns ankommen sollten. Sie wussten nichts von diesem Horror. Jeff und ich sprachen darüber… Sollten wir zum Flughafen fahren und dort auf unsere Freunde warten? Sollten wir das gesamte Wochenende absagen? Alles lag auf dem Tisch, aber die Band und alles was wir organisiert hatten war egal. Es ging um die Familie. Also sind wir gleich online gegangen und haben mit unseren Freunden geschrieben. Niemand schlief in dieser Nacht.

Wir gingen 6 Uhr zu Starbucks, tauschten die Geschenkkarten, die mir meine Mutter gegeben hatte gegen Kaffee ein und haben den Großteil des Tages dort verbracht. Wir erlaubten unseren Freunden unseren Myspace-Account zu nutzen, um Informationen zu übermitteln und Nachrichten zwischen den Leuten weiterzuleiten. Die Absage des Konzertes war für Jeff und mich schon beschlossen. Bis wir merkten, dass alle uns baten in dieser Nacht für die Hoffnung in Japan zu spielen. Wie könnten wir so etwas machen? Wir alle waren emotional verwirrt und es fühlte sich zu dem Zeitpunkt nicht richtig an auf die Bühne zu gehen. Bis Kosho und Momoka darauf bestanden und uns erklärten, warum es so wichtig war, dass dieses Wochenende stattfand. Wir stimmten zu, aber ich war gegen diese Ansicht. Ich wollte nicht respektlos sein, ich war durch das was passierte am Boden zerstört und ich glaubte, dass ich viel hilfreicher sein könnte, wenn ich in dieser Nacht die Leute zusammenführte, statt zu singen und zu springen. Aber es scheint, dass ich falsch lag.

Jeff und ich sprachen mit der Multimedia-Crew, die uns für dieses Wochenende begleitete. Wir fragten sie, ob es möglich ist das Konzert auf unserer Myspace-Seite auszustrahlen, wie wir es schon vorher gemacht hatten. Wir hatten nicht die richtige Ausrüstung dafür, bis eine unserer Freundinnen ihre Kreditkarte nahm und sagte, dass sie für alles was wir brauchen würden zahlen würde. Das Team ging von einem Verleih für Musikartikel zum nächsten inmitten eines überlaufenen Musikfestivals, welches in der gesamten Stadt stattfand. Es war wie die Suche nach der Nadel in einem Heuhaufen, aber letztendlich haben sie es durch eine kurzfristige Absage geschafft. Also hatten wir die Ausrüstung. Jetzt ging es darum alles vorzubereiten. Wir hatten in dieser Nacht 2 Auftritte, einen 21 Uhr und einen 2 Uhr. Wir eilten zum ersten Ort, um es dort zu versuchen.

Mein Freund Tomoaki hatte ein besonderes Geschenk für mich. Es war eine japanische Flagge, die ich an meinen Mikrofonständer band, wo sie noch heute zusammen mit der französischen Flagge hängt, die ich nach dem barbarischen Ereignis in Bataclan hinzufügte. Also haben wir das Konzert gespielt, es live ausgestrahlt, ich habe meine bedingungslose Unterstützung und mein Mitgefühl angesprochen und wie versprochen fand das Wochenende statt. Und auch wenn ich es anfangs nicht verstand, war es wirklich wichtig für sie. Später lernte ich, dass es ein Statement des Lebens gegen das Wesen des Todes und der Hoffnungslosigkeit war, welche die Macht haben viel schlimmeres zu tun, als alles was wir bezeugten. Ein Freund sagte mir, dass sie ohne die Hoffnung weder den Glauben noch den Mut gehabt hätten im Sturm aufzustehen, nach Überlebenden zu suchen, die Schwachen zu beschützen, diejenigen zu trösten, die glaubten, dass sie mehr verloren hätten als sie wirklich hatten, und die Widerstandsfähigkeit zu finden, um zu trauern und wieder aufzubauen. Ich werde dieses Gespräch nie vergessen, da es einen enormen Einfluss auf mich hatte.

Zurück in Montreal habe ich mit Freunden angefangen am „HOPE“ Projekt zu arbeiten. Das Konzept war es Postkarten an die Schulen in unserer Gegend zu schicken, damit die Kinder ermutigende Nachrichten schreiben konnten oder etwas zeichnen konnten, was für sie die Hoffnung repräsentiert. Diese Postkarten sollten später dann an japanische Kinder übergeben werden, die direkt von dem Tsunami betroffen waren. Wir haben mit dem Roten Kreuz zusammengearbeitet, um diese Postkarten zu versenden. Wir hatten mehr als 50.000 Postkarten gesammelt. 

Während unsere Tour in Asien näher kam, haben wir es geschafft unseren Zeitplan etwas zu ändern und etwas länger zu bleiben, damit wir eine Zuflucht in Minami-Sanriko, einer der Gegenden, die am Schlimmsten betroffen war, zu besuchen. Wir haben jede Berichterstattung durch die Medien abgelehnt, da wir nicht wollten, dass dies in ein soziales Statement durch Kanada verwandelt wird, in welchem gezeigt wird wie sehr die Regierung mit Japan mitfühlt. Die Regierung, die uns sagte, dass wir nicht gehen sollten und falls wir doch gehen würden und etwas schlimmes passieren würde, dass wir dann auf uns gestellt wären. Soviel zum Mitgefühl…

Meine Belastungsgrenze war erreicht, als wir bei den Ruinen waren, die wir im Fernsehen gesehen haben, als die Bilder zum ersten Mal ausgestrahlt wurden. Wir alle waren im Taxi, welches uns soweit brachte, wie es möglich war. Kosho, der bei uns war, bedankte sich immer wieder. Es war für uns alle ein ergreifender Moment. Und niemand hatte das Gefühl, dass wir einen Dank dafür verdienten, dass wir einfach auf unser Herz hörten – die Zuflucht zu besuchen, an die wir die HOPE Postkarten geschickt haben. Es war nur ein paar Wochen nach der Katastrophe, aber sie flehten schon darum nicht vergessen zu werden. Wie herzzerreißend ist das? Was für eine berührende Nachricht ist das? Wir fühlten uns gezwungen darauf zu antworten…

Als wir vor Ort waren, konnten wir uns zu den Leuten setzen, mit ihnen sprechen, sie umarmen, mit ihnen weinen, mit ihnen fühlen und das unglaublichste Geschenk erhalten, welches es gibt: die Verkörperung von dem, was „Hoffnung“ wirklich bedeutet, was „Glaube“ wirklich voraussetzt, was „Stabilität“ wirklich beinhaltet. Ich könnte immer so weitermachen… Es war menschlich so reich. Und bevor wir gingen kam eine ältere Frau zu mir, sie schaute mit ihren prächtigen Augen direkt in meine und sagte: „Ich habe gehört, dass du ein Autor bist, also schreib bitte weiterhin über uns, um andere zu ermutigen, die sich vielleicht den Sorgen und der Zerstörung in ihrem eigenen Leben stellen müssen. Zu leben ist die einzige Möglichkeit, um die zu ehren, die wir verloren haben. Aber Liebe und Freude sind die einzigen Geschenke, die Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung besiegen können.“ Ich habe es versprochen. Sie lächelte.

Deswegen nehme ich mir jedes Jahr an diesem Tag die Zeit mich an die zu erinnern, die wir verloren haben und darüber nachzudenken, wie ich nicht nur mein Versprechen halten kann, sondern auch wie viel weiter ich bereit bin zu gehen, um es zu halten. Durch all dies habe ich gelernt, dass es egal ist, wie schrecklich eine Tragödie ist, die größte Katastrophe von allen wird immer der Verlust der Hoffnung sein. Also falls ihr das Gefühl habt, dass ihr euren Halt verliert, zögert nicht und schreibt mir… ihr werdet herzlich empfangen!!!

Es gibt Hoffnung in dunklen Tagen… immer!!!

Euer Bruder und Freund,

– Alex

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